Golden Licht, silbern Träne

Golden sticht das Sonnenlicht durch das schon spärliche Blätterdach, der Boden ist bereits mit Blättern bedeckt, sie leuchten in den schönsten Farben. Ich gehe in die Knie und betrachte eines, es ist gelb und rot gefärbt, wahrscheinlich ein Ahornblatt. Als ich mich wieder aufrichte, muss ich unwillkürlich lächeln, die Schönheit des Waldes, des endlosen Weges vor mir ist atemberaubend. In der Ferne plätschert leise ein Bach, tiefer Friede senkt sich über mein Gemüt, ich spüre, wie mein Herz in einem ruhigeren Takt schlägt, meine Atmung passt sich der des Waldes, des Herbstes selbst an. Meine Sinne werden schärfer, ich sauge die Luft tief durch meine Nase ein, wittere feuchte Erde, klares Wasser und das nasse Holz. Ein leises Rascheln lässt mich aufhorchen, stolz und grazil tritt ein Reh aus dem Wald. Sein feines Fell ist haselnussbraun, sein Körper wirkt schlank und unversehrt, keine Spuren von Verletzung und Hunger sind zu sehen. Ich erschrecke, als ich merke, wie intensiv es mir in die Augen blickt. Fasziniert erwidere ich den Blick, die Augen des Rehs haben eine braune Farbe, ich glaube, eine Spur gold darin zu sehen. Es strahlt unfassbaren Frieden aus, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit. Es schien, als wolle es mir etwas sagen. Nein, vieles, es will mir die Welt erklären, die ich nur durch einen Schleier sehen kann, vielleicht sogar möchte. Ich spüre fast, wie es in mich eindringt und durch mich hindurchsieht. Der Geist, die Seele des Rehs streift die meine, vorsichtig füllt sie die Löcher meines Herzens, flickt die Risse meiner Seele, heilt Narben, die ich dachte, mein Leben lang mit mir tragen zu müssen. Es passt meinen Herzschlag dem Seinen an und somit dem des Waldes an. Der Wald, die Natur hat immer einen Herzschlag, ob wir ihn hören, ist etwas anderes. Eine einzelne Träne rinnt mein Gesicht herab, ich hebe meine Hand und wische sie vorsichtig weg. Als ich sie auf meinem Finger sehe, bemerke ich den leicht silbrigen Schimmer. Ich hebe den Kopf und treffe den intensiven Blick des Rehs. „Danke“, hauche ich. Es scheint fast, als würde es mir zunicken, dann stolziert es weiter. Die fürchterliche Angst, es, diesen Frieden für immer zu verlieren, durchschießt meine Adern. Mein Mund klappt auf, doch die Worte kommen nicht, ich beginne zu laufen.  

Gudrun Wasinger, 4CG